/ FALs virtuelle Welt / Unterwegs auf dem Via Francigena

Ein Reisebericht (19. Tag)


Irgendwie war mir schon klar, dass das mit dem Frühstück heute nicht klappen kann. Um viertel neun ging ich runter in den „Speisesaal“, was eigentlich die Empfangslounge ‒ oder ‒ ach, nennen wir es einfach Windfang, war. Weit und breit niemand. Also erst mal den Fernseher an, dann kann man mit etwas gutem Willen zumindest hören, dass hier jemand wach ist und etwas essen möchte. Gegen halb erforschte ich mal den Inhalt des Kühlschrankes, der in der Ecke stand, na zumindest ein Getränk für den Tag als Entschädigung muss ja drin sein. Karte Mein Ausweis, den ich als Pfand am Abend abgegeben hatte, lag für jeden greifbar auf dem Tresen, eine Flucht war trotzdem nicht möglich, die Fenster waren vergittert und die Eingangstüre abgeschlossen. Und als um dreiviertel trotz kontinuierlichem Crescendos, das ich mit Hilfe der Fernbedienung ausführte, immer noch niemand aufkreuzte entschied ich mich, oben im „privaten“ Bereich mal einen „Buon Giorno“ zu wünschen. So erschien dann doch noch fünf vor neun ein Chef, im fleckigen Badamantel, arti- und gestikulierend, der Wecker hätte nicht funktioniert und gestern wäre es spät geworden und es täte im Leid und überhaupt (ich verstand eh nur die Hälfte). Mit dem Kaffeeautomaten klappte es dann auch nicht so ganz, angeblich wären die Kinder dran gewesen… jaja, das kenne ich von unserem Orchesterwart, wenn mal etwas kaputt ging.
Dann endlich doch auf dem Weg lief ich durch ein Tal erst mal auf den Lago di Bolsena zu und entschied mich, den Zufall entscheiden zu lassen, ob ich rechts oder links um den See laufen sollte, in dem Buch standen nämlich zwei Varianten. Ich war noch nicht mal ganz am See, da hatte ich den Weg schon zwischen großen Kleingärten, fast schon eher kleinen Großgärten, verloren. am Lago di Bolsena Egal, erst mal an den Strand. Doch was war nun? Der Via Francigena war zwar ausgeschildert, und in diesem Streckenabschnitt sind es richtige Verkehrsschilder, ich hätte aber, wie ich nun sah, wieder zurücklaufen müssen. Da mein Motto „vorwärts immer und rückwärts nimmer“ lautete wurde es somit eben der längere Weg: die Westküste entlang. Eigentlich ist dies die „Strada dei Briganti“, die Straße der Räuber, wo ich ja nun nicht wirklich hingehöre; immerhin aber ein beschilderter Weg, doch erst mal auf den zu kommen stellte sich auch schon als schwierig dar. Zum Glück gab es hier Felder, die „nur“ durch Gräben gesichert waren; ich ging heute also nicht nur, sondern sprang auch. Anstelle historischer Städte gab's dann nur Italiener beim Baden zu sehen, statt durch Bolsena kam ich nur durch Capodimonte und Marta.
Die Pausen wurden immer länger, heute ging es wirklich schwer voran. Montefiascone sah ich nur auf Straßenschildern erwähnt und so lagen die Gedanken an ein Fiasko nicht weit: mein heutiges Ziel, so nahe wie möglich an Viterbo heranzukommen erreichte ich nur recht vage und die hier fehlenden 10 km sollten mir bis zum Schluss der Reise jeden Tag fehlen. Den Schlafsack breitete ich am Rande eines umgegrabenen Feldes aus, die Erfahrung machend, dass Gräser und Getreide sich ganz schön widerhakend in das Futter einbohren können. Da es recht schnell dunkel wurde dachte ich mir, heute doch ein ganz schön lange Strecke zurückgelegt zu haben. Vielleicht täuschte dies aber auch, was man am Morgen nicht schafft läuft man am Abend einfach auch nicht mehr raus.

20. Tag